*** TRIGGERWARNUNG sexualisierte Gewalt ***

Die Hilfeschreie der Kinder heute hören!

Reken/Maria Veen Nach der Veröffentlichung der Pressemitteilung zu Missbrauchsfällen durch einen Mariannhiller Missionar in den 1960er Jahren am 18.03.2023 haben Pastoralreferentin Elisabeth Stein und Pfarrer Thomas Hatwig weitere Meldungen erreicht. Diese reichten von der Ansprache vor der Kirche oder im Dorf, über Telefonate und schriftliche Mitteilungen via E-Mail oder WhatsApp, bis hin zu zwei persönlichen Gesprächen mit direkt Betroffenen in einem geschützten Rahmen. Alle Meldungen wurden – mit Einwilligung der Personen – an die Interventionsstelle des Bistums Münster weitergeleitet. Diese hat bereits Kontakt zu den Betroffenen aufgenommen, um weitere Schritte in der Aufarbeitung abzustimmen. Dabei werden konkrete Ansprechpersonen benannt, die bei den Anliegen, Sorgen und Nöten Hilfe bieten können. Es werden Beratungsmöglichkeiten und Gesprächsbegleitung angeboten. Ferner wird über mögliche „Leistungen in Anerkennung des Leids“ informiert.

Direkte Rückmeldungen im Anschluss an die Veröffentlichung im Gottesdienst waren: „Warum wurde das heute verkündet? Das wussten doch alle!“ / „Hoffentlich kommt jetzt keine künstlich angeschobene Empörungswelle nach Reken.“

Insgesamt sind drei Täter benannt worden. Die am weitesten zurückliegenden Fälle beziehen sich auf Taten Anfang der 1960er Jahre in der Pfarrbücherei St. Marien. Zwei Betroffene haben sich gemeldet. Ferner gab es eine Meldung zu Vorfällen im Internat der Mariannhiller Missionare in Maria Veen aus Mitte der 1960er Jahre.

Die Berichte zu dem in der Pressemitteilung des Bistums genannten Pater P.S. beziehen sich nicht – wie es in der Mitteilung hieß – auf die 1960er Jahre, sondern seien Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre zu verorten. Vier Frauen haben sich hierzu gemeldet, die damals im Kindes- und Jugendlichenalter waren. Die zum Teil sehr detaillierten persönlichen Schilderungen der Taten wirkten auch auf die erfahrenen Seelsorger sehr irritierend.

Die Betroffenen beschrieben Pater P.S., der viele Jahre für die Organisation des Ferienlagers verantwortlich war, als eine autoritäre Persönlichkeit. Die Vorfälle seien im Ferienlager und in der Gemeinde stets ein offenes Geheimnis gewesen. Zu groß sei seine Autorität gewesen, so dass alle geschwiegen haben, heute unvorstellbar.

Diese Aussage wirft auch beim Interventionsbeauftragten des Bistums Münster (Peter Frings) weitere Fragen auf: „Wie können wir die Aufarbeitung des Missbrauchs vorantreiben, wenn viele davon gewusst haben, aber niemand uns darüber informiert?“

Hilfeschreie der Kinder heute hören!

In den Gesprächen und anderen Rückmeldungen betonten die Betroffenen immer wieder, dass sie sich jetzt vor allem wünschen, dass „die Hilfeschreie der Kinder heute gehört werden“. Das sei in der Vergangenheit viel zu selten der Fall gewesen. Es gehe ihnen nicht direkt um Anerkennungszahlungen oder eine erneute Auseinandersetzung mit ihren alten, schlimmen Erfahrungen. Viele sagten, dass sie ihre eigene Geschichte verarbeitet haben und jetzt ein geregeltes Leben führen können. Auch heute noch gibt es diese kläglichen Taten überall (im kirchlichen Umfeld genauso wie im Sportverein, in der Schule, in der Familie, …)[1]

„In Deutschland wurden im Jahr 2020 rund 14.500 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch angezeigt. Das Dunkelfeld ist aber um ein Vielfaches größer. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass bis zu eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland bereits sexuelle Gewalt durch Erwachsene erfahren mussten oder erfahren. Das sind (rechnerisch) rund ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse. Viele dieser Fälle gehen nicht in die Kriminalstatistik ein, weil sie nie zur Anzeige gebracht werden, und bilden sich auch ansonsten nicht im Hellfeld ab. […] Zwei repräsentative Studien aus den vergangenen Jahren kommen zu dem Ergebnis, dass etwa jeder siebte bis achte Erwachsene in Deutschland in seiner Kindheit und Jugend sexuelle Gewalterfahrungen machen musste.“[2]

Wie machen wir weiter?
„Die Fälle sexualisierter Gewalt in unserer Gemeinde sind unentschuldbar und machen uns zutiefst betroffen. Wir können nicht erahnen, welches Leid Betroffene erfahren haben bzw. immer noch ertragen müssen – und wie viel Mut es sie kostet, die Missbrauchsfälle zu melden. Wir möchten allen Betroffenen unser aufrichtiges Mitgefühl aussprechen”, so Pfarrer Hatwig.

Eine unabhängige Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in Maria Veen nach dem Verfahren der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) haben die Mariannhiller Missionare bereits angestoßen.

Der Pfarreirat der Kirchengemeinde beschäftigt sich nun mit den Fragen, wie eine professionelle und demütige Aufarbeitung in unserer Pfarrgemeinde St. Heinrich aussehen kann. Wie kann die Präventionsarbeit in unserer Gemeinde verstärkt werden, damit das Thema in allen Kinder-, Jugend- und Erwachsenen-Gruppen ins tägliche Bewusstsein gerufen wird? „Augen auf! Hinsehen und schützen!“

Die Präventionsfachkraft Frau Jenny Klein beschäftigt sich derzeit mit einer Aktualisierung des Institutionellen Schutzkonzeptes (ISK)[3] der Pfarrgemeinde und wird es erneut ins Bewusstsein aller Engagierten rufen.

Bereits seit mehreren Jahren gehören regelmäßige Präventionsschulungen sowie regelmäßige Abfragen der polizeilichen Führungszeugnisse bei allen ehrenamtlich und hauptamtlich Aktiven der Pfarrgemeinde zu den Grundvoraussetzungen, um unseren Einsatz zum Schutz von Kindern und Jugendlichen gegen sexualisierte Gewalt aktiv zu unterstützen. In den Schulungen werden grundlegende Informationen zum Thema Prävention von sexualisierter Gewalt vermittelt. Die vorbeugenden Maßnahmen des Bistums Münster werden kennengelernt und was im Falle eines Verdachts zu unternehmen ist, um effektiv zu handeln, und an welche Ansprechpersonen man sich wenden kann.

Präventionsschulungen sind fester Bestandteil der Gruppenleitergrundkurse und werden in regelmäßigen Abständen aufgefrischt. „Erst im vergangenen Jahr haben rund 40 Gruppenleiterinnen und -leiter ihre Präventionsschulung aufgefrischt”, erklärt der Vorstand der Pfarrjugend Mörphy Town. „Wir wollen einen Raum schaffen, in dem Grenzen zu jeder Zeit gewahrt werden, sich alle Kinder und Jugendlichen sicher fühlen und sich trauen, über ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Der Missbrauchsfall Pater P.S. macht uns wütend, fassungslos und traurig zugleich – den Betroffenen steht unsere uneingeschränkte Solidarität zu.“

Damals scheinen viele die Hilfeschreie gehört zu haben und machten nichts außer, die Kinder zum Schweigen zu verdonnern. Mancher trägt vielleicht schwer an dieser Schuld und braucht auch eine Möglichkeit, dies anzusprechen.

Wir (als Teil der katholischen Kirche) wollen daran arbeiten, neues Vertrauen zu gewinnen und die Nähe zu den Menschen wiederherzustellen. Es muss Transparenz und Offenheit geben!

Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass sich Betroffene unmittelbar bei den Ansprechpersonen des Bistums Münster (Kontaktdaten auf https://www.bistum-muenster.de/sexueller_missbrauch) oder bei den folgenden Personen in der Pfarrei melden können:

[1] https://tour41.net/die-offiziellen-zahlen/

[2] Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung (UBSKM), https://beauftragte-missbrauch.de/themen/definition/zahlen-zu-sexuellem-kindesmissbrauch-in-deutschland

[3] https://www.st-heinrich-reken.de/wp-content/uploads/2018/12/2018_st-heinrich-reken-institutionelles-schutzkonzept.pdf